Entstehung einer Angststörung
Viele Faktoren und besondere Ereignisse spielen eine Rolle
Angststörungen entstehen meist durch eine Kombination verschiedener Faktoren. So kann eine genetische Veranlagung (Vulnerabilität) vorliegen, leichter als andere Menschen mit Angst auf bestimmte Situationen oder Reize zu reagieren. Wenn dann noch weitere Faktoren – zum Beispiel ausgeprägter Stress – hinzukommen, kann dies eine Angststörung auslösen. Auch schwerwiegende negative Lebensereignisse – zum Beispiel der Tod eines Angehörigen oder ein plötzlicher Jobverlust – sind häufig der Auslöser für eine Angststörung.
Lerntheoretische Aspekte
Nach den Annahmen der Lerntheorie entstehen ausgeprägte Ängste durch die so genannte klassische und die operante Konditionierung.
Zur klassischen Konditionierung kommt es, wenn neutrale Reize (zum Beispiel ein Tunnel) zusammen mit einem angstauslösenden Reiz (zum Beispiel ein Unfall, bei dem der Beifahrer verletzt wird) auftreten. In der Folge löst dann auch der Tunnel selbst bzw. jeder andere Tunnel Angst aus – obwohl in diesen Fällen keine reale Gefahr besteht und kein Unfall passiert.
Bei einer Panikstörung, bei der eine Panikattacke praktisch immer und überall auftreten könnte, entwickelt sich häufig Angst vor der Angst – das heißt, die Betroffenen fürchten ständig, dass erneut eine Panikattacke auftreten könnte.
Die operante Konditionierung besagt, dass es für jemanden mit ausgeprägter Angst eine Erleichterung ist, wenn er aus die angstauslösende Situationen vermeiden kann. Wenn jemand Angst vor Aufzügen hat, ist es für ihn zunächst positiv, wenn er Aufzüge vermeidet und dann keine Angst mehr erlebt. Das Problem dabei ist allerdings, dass der Betroffene so gar nicht die Erfahrung machen kann, dass ihm bei einer Fahrt im Aufzug gar nichts Schlimmes passiert, und er sich weiterhin ausmalt, zu welchen Katastrophen es kommen könnte. Das bedeutet, dass die Vermeidung der Angstsituationen die Angst letztlich aufrecht erhält.
Auch das „Lernen am Modell“ spielt bei der Entstehung von Ängsten eine Rolle. Wenn ein Kind zum Beispiel immer wieder erlebt, dass die Mutter oder der Vater panisch reagieren, wenn sie eine Spinne sehen, ist es wahrscheinlicher, dass es ebenfalls Angst vor Spinnen entwickelt.
Kognitive Aspekte
Wenn jemand unter starken Ängsten leidet, nimmt er die Welt anders wahr als andere Menschen. So hält er viele Situationen für gefährlich, die andere nicht als gefährlich einstufen würden. Auch die verzerrte Wahrnehmung wird durch Vermeidungsverhalten aufrecht erhalten. Zum Beispiel behält jemand, der das Fliegen im Flugzeug vermeidet, seine Befürchtung eines Flugzeugabsturzes vermutlich bei. Dagegen kann jemand, der sich immer wieder ins Flugzeug setzt und jedes Mal heil ans Ziel kommt, kann seine Annahme „Fliegen ist gefährlich“ eher korrigieren.
Teufelskreismodell der Angst
Eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Ängsten – und insbesondere von Panikattacken – spielt auch, wie jemand die körperlichen Veränderungen, die durch die Angst ausgelöst werden, wahrnimmt und bewertet. So glaubt jemand, der unter Panikattacken leidet, häufig, dass das Herzrasen ein Zeichen für einen drohenenden Herzinfarkt ist oder dass ein Schwindelgefühl darauf hindeutet, dass sie gleich ohnmächtig umfallen werden. Dies führt wiederum dazu, dass die Angst steigt – und daraufhin die körperlichen Empfindungen noch stärker werden.
Tiefenpsychologische Modelle
Nach den Annahmen von Sigmund Freud (1895) ist Angst zunächst die Folge eines so genannten innerpsychischen Konflikts – zum Beispiel zwischen dem Wunsch, etwas Bestimmtes zu tun, und dem Gewissen, das einem verbietet, dies zu tun. Dieser unbewusste Konflikt wird nach Freud verdrängt, und dabei wird die Angst auf bedeutungslose äußere Objekte oder Situationen verschoben. Dies hat laut Freud den Vorteil, dass diese Objekte oder Situationen leichter vermieden werden können als der innere Konflikt.
Neuere Annahmen der Tiefenpsychologie besagen, dass Ängste vor allem bei Menschen entstehen, die in der Kindheit schmerzliche Trennungserfahrungen gemacht haben oder besonders empfindlich auf Trennungen von nahen Bezugspersonen reagieren. Nach dieser Theorie führt vor allem die unbewusste Angst, allein gelassen zu werden oder die Zuneigung anderer Menschen zu verlieren, zur Entstehung von Phobien und anderen Angsterkrankungen.
Neurobiologische Aspekte der Angst
Biologische Theorien gehen davon aus, dass Menschen, die eine Angststörung entwickeln, eine höhere biologische Anfälligkeit (Vulnerabilität) für Ängste haben. Zum Beispiel scheint bei ihnen das so genannte autonome Nervensystem – das die Funktionen der inneren Organe wie Herz, Verdauung oder Atmung steuert – besonders leicht durch verschiedene Reize erregbar zu sein. Dies kann dazu führen, dass die Betroffenen körperliche Anzeichen von Angst stärker wahrnehmen als andere – und dann auch eher mit Angst darauf reagieren.
Weiterhin sind an der Entstehung von Angst auch bestimmte Gehirnregionen beteiligt. Dazu gehören zum Beispiel die Amygdala, der Hippocampus und der präfrontale Cortex. Die Amygdala (Mandelkern) ist direkt an der Entstehung von Angst beteiligt, während der Hippocampus mit Lern- und Gedächtnisprozessen zu tun hat – zum Beispiel, dass eine bestimmte Situation gefährlich ist. Der präfrontale Cortex (Stirnhirn) ist dagegen für die Bewertung von Angstreizen und die Planung entsprechender Reaktionen zuständig.
Auf der Ebene der Nervenzellen (Neurone) spielen verschiedene Neurotransmitter – also Botenstoffe, die die Signale von einer Nervenzelle zur anderen weitergeben – bei der Entstehung von Angst eine Rolle. Man nimmt an, dass bei starken Ängsten bestimmte Botenstoffe entweder in zu großer oder zu geringer Menge vorhanden sind. Dazu gehören die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin sowie der hemmende Neurotransmitter GABA (Gamma-Amino-Buttersäure).